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Was tust Du?!

Unter den vielen Veränderungen, die Corona mit sich bringt, ist auch eine Sensibilisierung unseres Moral-Empfindens feststellbar, welche auf den ersten Blick leicht übersehen werden kann: Die Corona-Krise führt dazu, dass wir uns gegenseitig – insbesondere auch im eigenen Umfeld – hinsichtlich unseres Handelns ermahnen und sanktionieren. Das betrifft vornehmlich unseren Umgang mit dem Virus und seiner potentiellen Verbreitung. Wir ermahnen Freunde und Verwandte dazu, nicht unnötigerweise das Haus zu verlassen, oder gar Freunde zu treffen. Falls Sie das doch tun, reagieren wir irritiert, ja teilweise gar aufgebracht über diese Torheit.

 

Die moralische Instanz

Besonders interessant dabei ist der Grund aus dem wir das tun. Man könnte behaupten, dass diese Verurteilung aus Sorge resultiert. Aus Sorge daraus, dass sich jene anstecken, die das Haus verlassen und damit sich selbst gefährden. Das mag in manchen Fällen auch zutreffen. Auf Nachfrage nach dem Grund der Besorgnis zeigt sich in vielen Fällen jeoch auch ein anderes Bild. „Wir sitzen hier im selben Boot“ oder „Jeder muss seinen Teil zur Bewältigung der Krise beitragen“ bekommt man dann zu hören. Die Verurteilung eines Verhaltens resultiert hier also weniger aus der Sorge um ein konkretes Individuum, sondern aus der Referenz auf ein geteiltes, höheres Ziel. Anders gesagt: Die Verurteilung passiert auf Basis eines moralischen Standards.

Schließlich handelt es sich hierbei (in den meisten Fällen) um keine rechtliche Verstöße und auch um keine individuelles Leid, dass durch das Verhalten erzeugt wird, sondern eben um eine abstrakte Norm, die über die Gesellschaft hinweg geteilt und auch entsprechend geschützt wird. Moralische Standards sind gerade in dieser Nische von formellem Recht und individuellem Nutzen angesiedelt. Allerdings sind sie bis zum Ausbruch der Krise nur noch selten vorzufinden gewesen.

 

Zweierlei Maß

Diese Feststellung mag auf den ersten Blick verwundern. Unserer Gesellschaft scheint es nicht an moralischen Standards und insbesondere moralischen Sanktionen zu mangeln. Gerade in sozialen Medien zeigt sich oftmals schnell und mit großem Nachdruck, wie sehr wir das Denken oder Handeln anderer verurteilen. Wir verurteilen politische Ansichten sowie wirtschaftliches, aber auch privates Handeln ohne zu zögern.  Allerdings gibt es in der Regel eine klare Grenze für unsere moralischen Urteile: Unser eigener sozialer Umkreis.

Bei unseren Freunden und Verwandten wagen wir es nur kaum, moralisches Verhalten offen zu verurteilen oder zu sanktionieren. Wir prangern vielleicht die Gesellschaft dafür an, dass sie unfairen Handel fördert, dass wir bei Umweltsündern einkaufen, und Unternehmen unterstützen, die kaum Steuern bezahlen. Aber wir gehen nur selten dazu über, dass wir den eigenen Freundeskreis ernsthaft dazu ermahnen das nicht zu tun, oder gar die eigenen Freunde moralisch dafür abzustrafen. „Das solltest Du wirklich nicht tun.“, „Weißt Du denn nicht, was du damit anrichtest?“, „Ich bin von deinem Verhalten enttäuscht.“. Das sind Aussagen, die wir nur sehr selten an unser Umfeld richten (obwohl es an und für sich wohl genügend Anlass dazu gäbe).

 

Die Rückkehr der Moral

Man könnte es als negativ empfinden, dass wir uns plötzlich wieder gegenseitig maßregeln, uns mitteilen, was wir „zu tun und zu lassen haben“. Unsere freiheitsliebende und individualisierte Gesellschaft lässt sich hier nicht gerne dreinreden. Man könnte die Wiederkehr der Moral aber auch begrüßen und versuchen, sie auch außerhalb der Corona-Krise wieder zum Teil des gesellschaftlichen Miteinanders zu machen. Denn auch wenn uns unfairer Handeln, umweltschädigendes Verhalten oder auch Steuerhinterziehung nicht in dem selben Maß individuell bedroht, wie Corona das macht, so gilt auch hier letztlich: Wir sitzen hier im selben Boot.