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Wenn wir von Kreativität sprechen, dann ist das Problem vor allem darin behaftet, dass wir ihr keinen Raum geben. Kreativität und das neue brauchen Raum und Zeit, um sich entfalten zu können. Das ist weniger in einem metaphysischen, als in einem wortwörtlichen Sinne zu verstehen:

Evolution besteht nicht darin, dass plötzlich eine funktionale Änderung entsteht, welche sich als bessere Anpassung gegenüber anderen Phänotypen erweist. Der Prozess der Evolution besteht vielmehr darin, dass eine sehr kleine Veränderung stattfindet, welche sich zunächst nicht als negativ im Hinblick auf die Anpassung erweist. Erst indem diese Veränderung weiter vorangetrieben wird, wird sie irgendwann funktional und führt zu einer besseren Anpassung an die Umwelt. Der Prozess der Kreativität besteht deshalb darin, Veränderungen Raum zu geben bis sie sich irgendwann als funktional erweisen können.

Kreativität funktioniert nach dem selben Schema: Gedanken werden mit anderen Gedanken kombiniert und rekombiniert, sodass dabei auch neue Gedanken entstehen können. Diese neuen Gedanken sind dabei nicht zwangsläufig funktional. Sie können aber in weiterer Folge zu funktionalen Gedanken führen – zu brillanten Ideen und Durchbrüchen der Erkenntnis. Dazu ist es allerdings notwendig, dass wir Gedanken den Raum und die Zeit geben, sich zu entfalten. Indem wir Gedanken, weil sie sich nicht sofort als funktional erweisen, als negativ bewerten, rauben wir ihnen die Möglichkeit, sich zu entfalten. Was daraus resultiert, ist die Unfähigkeit zur Kreativität, Weiterentwicklung, und persönlichen Entfaltung.

Es ist mittlerweile aus der psychologischen Forschung gut begründet, dass „kreative Meetings“ effizienter funktionieren, wenn die Phase der Ideenfindung von der Phase der Ideenbewertung getrennt wird, weil dadurch Ideen nicht bereits ausgeschlossen werden, bevor sie sich richtig entfalten können.

Die zentrale Frage, die sich hierbei jedoch stellt, ist nicht, wie wir in Meetings mit anderen damit umgehen, sondern inwiefern wir ganz persönlich mit unserer Kreativität verfahren. Geben wir unseren Gedanken den Raum und die Zeit sich zu entfalten, bis sie sich als funktional erweisen?

Es gibt verschiedene Gründe dafür, dass wir genau das eben nicht tun:

(1) Wir urteilen zu vorschnell. Wir beginnen etwas und bewerten es als dysfunktional, als nicht ausreichend funktionstüchtig und geben es wieder auf. Ein Beispiel: Indem ich damit beginne, meine Gedanken in Worte zu fassen, wird ein kreativer Prozess in Gang gesetzt. Wenn ich diese niedergeschriebenen Gedanken jedoch allzu bald bewerte, werde ich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu dem Schluss kommen, dass die Gedanken „unzureichend“ sind und es nicht wert sind, niedergeschrieben zu werden. Das Problem liegt hierbei in der Bewertung. Die Gedanken müssen nicht als solches bewertet, sondern können einfach fortgeführt werden aus der Freude an der Tätigkeit an sich heraus.

(2) Wir machen zuviele Dinge gleichzeitig. Indem wir verschiedene Dinge innerhalb einer relativ gesehen kurzen Zeitspanne erledigen wollen, räumen wir einzelnen Tätigkeiten damit relativ wenig Raum zur Entfaltung ein. Was dabei entsteht, ist ein Prozess der Hektik. Wir bewerten Dinge vorschnell, weil wir sie dann vorschnell beurteilen müssen. Wiederum ergibt sich daraus eine Situation, in der wir Gedanken nicht den Raum zur Entfaltung geben.

Erst durch die weiterführende Beschäftigung werden Gedanken irgendwann eine gewisse Funktionalität erfahren. Der eigentlich kreative Prozess ist kein Prozess der kurzen Feedbackschleifen, sondern ein Prozess der großen Freiheitsgrade. Indem wir unseren Gedanken nicht den Raum zur Entfaltung geben, rauben wir ihnen die Möglichkeit, sich irgendwann als funktional zu erweisen. Aber nicht nur das: Wir verlieren auch das Vertrauen darin, dass sich unsere Gedanken entfalten können. Das führt zur dritten und schwerwiegendsten Form der eigenen Blockade:

(3) Wir bewerten unsere Kreativität als generell unzureichend: Indem wir nicht mehr nur die Produkte unserer Kreativität vorschnell be- bzw. verurteilen, gewöhnen wir uns an, unsere Kreativität an sich als unzureichend zu betrachten. Das Ergebnis daraus ist, dass wir uns kreativen Prozessen gar nicht mehr stellen wollen und stattdessen bevorzugen, auf gewohntem Terrain zu bleiben, indem uns kein Ungemach droht.