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Die Generations Z scheint eine neue Beziehungsform für sich zu entdecken: die „Situationship“. Angelehnt am Begriff der „Relationship“, soll der Begriff der Situation verdeutlichen, dass es bei dieser Form der Beziehung um keine starre Verpflichtung, sondern um situatives Handeln geht. Mit anderen Worten: Man verpflichtet sich damit zu nichts.

Bevor ich einen näheren Blick auf dieses Phänomen werfen möchte, stellt sich zunächst die Frage, ob es sich hierbei überhaupt um ein neues Phänomen handelt; schließlich sind „zwanglose Beziehungen“ keine neue Erfindung. Bereits die Hippies (oder in Deutschland etwa auch die sogenannten 68er) propagierten mit „freier Liebe“ unter anderem auch ein Loslösen von starren Beziehungsnormen. Konkret mündete diese Rebellion in polyamorösen Beziehungen mit möglichst wenig Verpflichtungen. Liebe und Intimität wurden hierbei also möglichst isoliert von Verpflichtungen betrachtet, die klassischerweise mit Beziehungen einhergehen: Sei es die Treue gegenüber einer Partnerin[1] oder auch Tätigkeiten (etwa Aufgaben im Haushalt), die in klassischen Beziehungen und bei klassischen Rollenbildern erwartet wurden. Die Liebe bzw. gegenseitige Zuneigung wurde dabei also als Wert an sich verstanden, welcher von anderen Dimensionen entkoppelt war. Das dahinterstehende Ideal ist wohl am ehesten mit Sexualität, frei von etwaigen Verbindlichkeiten zu beschreiben.

Einige Jahrzehnte später wurde der Begriff der „casual Relationship“ geprägt. Dabei wurden Beziehungen relativ klassisch interpretiert, man verbrachte die Freizeit miteinander, lebte in der Regel zwar nicht im gleichen Haushalt, aber führte auch gewisse „Arbeiten“ füreinander aus (man bekochte sich, erledigt hier und da kleinere Gefälligkeiten im Haushalt, etc). In vielerlei Hinsicht ähnelt diese Beziehungsform einer traditionellen Beziehung, allerdings entfällt dabei die soziale Einbettung: „Casual Relationships“ bleiben vor allem dadurch entspannt, dass man weitestgehend in getrennten Welten lebt. Man lebt dabei nicht nur physisch nicht am selben Ort (derselben Wohnung), sondern hält auch ansonsten die gegenseitigen Verflechtungen gering. Das bedeutet, dass wenige bis gar keine Verbindungen zum eigenen „Netzwerk“, bestehend aus dem eigenen Freundeskreis bzw. der eigenen Familie aufgebaut werden. Auf diese Weise entgeht man gleich in zweifacher Weise Konfliktpotential: Zum einen muss die jeweilige Partnerin nicht beurteilt werden; es muss keine Verträglichkeit von Partnerin und Umfeld stattfinden. Und zum anderen kann der Alltag im sozialen Umfeld beibehalten werden, auch wenn die Beziehung beendet wird (während am Ende einer klassischen Beziehung die damit einhergehenden emotionalen Schmerzen quasi unweigerlich mit dem eigenen Umfeld geteilt werden und dieses sich von der jeweiligen Partnerin „mit-trennen“ muss). Das Ideal der „entspannten Beziehung“ besteht also weitgehend zwar in Elementen der klassischen Beziehung, jedoch bleibt die entspannte Beziehung entkoppelt von Alltag und den sozialen Beziehungen der beiden Beziehungspartnerinnen.

 

Was ist das Neue an „Situationships“?

Wo ordnet sich nun die situative Beziehung, die „Situationship“, in dieser Kategorisierung ein? Die situative Beziehung ähnelt der klassischen Beziehung zunächst besonders stark, auch was die soziale Einbettung angeht. Der Unterschied zu klassischen Beziehungen liegt weder in den emotionalen Erwartungen (wie Treue oder Intimität), noch in den pragmatischen (gemeinsame Haushaltsführung, Arbeitsteilung), sondern in der Erwartungshaltung hinsichtlich des Verlaufs der Beziehung. Um das zu erörtern, muss ich zunächst auf die Mechanik einer klassischen Beziehung eingehen:

Üblicherweise verlaufen klassische Beziehungen linear. Auf eine Phase der emotionalen und sexuellen Annäherung folgt die „offizielle Beziehung“. Nach einiger Zeit  folgt das Leben in einem gemeinsamen Haushalt, die Heirat sowie gemeinsame Kinder. Auch wenn es sich hierbei um keine strenge Reihenfolge handelt, wohnt ihr eine gewisse Linearität inne: Wenn man nach der Phase der Annäherung nicht bereit ist, eine feste Beziehung einzugehen, wird die Beziehung beendet. Wenn nach einer gewissen Phase in einer gemeinsamen Beziehung keine Bereitschaft zum gemeinsamen Wohnen besteht, wird die Beziehung beendet. Wenn nach einer Phase des Zusammenlebens keine Bereitschaft zu Heirat und/oder Kindern besteht, wird die Beziehung beendet (sofern zumindest bei einer Partnerin der Wunsch danach besteht). Gleichzeitig steigt mit dem Eintreten der jeweils nächsten Phase auch die Sogwirkung und der Rechtfertigungsdruck: Eine Beziehung nach der gemeinsamen Annäherungszeit zu beenden ist vergleichsweise einfach und erfordert auch kaum Rechtfertigung; anders ist die Lage, nachdem man bereits zusammengewohnt hat.

Situationships haken an diesem Punkt ein: Sie sollen, je nach Bedürfnis, emotionalen, sexuellen und/oder materiellen Nutzen bieten. Allerdings ohne die Erwartung einer Intensivierung oder gesteigerten Verbindlichkeit. Situationships haben den Anspruch ad hoc all das zu liefern, was die Beziehungspartnerinnen gerade brauchen (etwa auch rasche emotionale Offenheit und Nähe), aber sie gehen davon aus, dass die Beziehung von temporärer Natur ist.

Auf diese Weise bleibt es für die beteiligten Partnerinnen einfacher, eigene Ziele zu verfolgen (etwa Ausbildung, Karriere, etc.) ohne dabei beziehungsbedingte Kompromisse einzugehen. Das Ideal der situativen Beziehung ist im Wesentlichen eine klassische Beziehung; ausgenommen der Erwartung an den weiteren Verlauf der Beziehung.

 

Was kann man aus dieser Analyse schließen?

Zunächst ist festzuhalten, dass Beziehungstypen immer schon in vielfältiger Weise existiert haben und solche situativen Beziehungen nichts genuin Neues darstellen. Aber ihr nun verstärktes Auftreten, etwa auch in sozialen Medien, lässt aus meiner Sicht auch Rückschlüsse über die Gesellschaft insgesamt zu.

Der Drang nach „entspannteren“ Beziehungsformen unterliegt einer gewissen Entwicklung, welche in einen Zusammenhang mit generellen gesellschaftlichen Vorstellungen der jeweiligen Zeit gebracht werden können. Die Hippies (bzw. die 68er) waren Teil einer Generation, die sich vor allem auch gegen kriegerische Auseinandersetzungen und blindes gehorsam gegenüber Autoritäten richtete. In diesem Kontext wurden Traditionen und gesellschaftliche Normen besonders radikal in Frage gestellt und die Propagierung freier Liebe war ein starkes Signal gegen das vorherrschende Establishment (im Sinn vorherrschender gesellschaftlicher Ansichten und Normen).

Das Casual-Dating der 2000er wurde von der Generation Y geprägt in einer Zeit, in der es vor allem galt, möglichst viel zu erleben bzw. umgekehrt keine Möglichkeiten zu verpassen. Stellvertretend für diese Geisteshaltung steht der Begriff des „FOMO“ (Fear of missing out – die Angst, etwas zu versäumen). Die heutige Hinwendung zu Situationships entspringt der Gen Z; einer Generation, die Krisengebeutelt ist (9/11, Finanzcrash, Klimakrise, Corona, Ukraine-Krieg) und nach Sicherheit sucht. Allerdings nicht vordringlich emotionale Sicherheit, sondern materielle. Hierzu benötigt es die Möglichkeit, der eigenen Karriere entsprechende Vorzüge einzuräumen gegenüber der Beziehung. Aber mehr noch geht es bei Situationships darum, generell ein möglichst hohes Maß an Kontrolle zu behalten (sich also nicht langfristig zu etwas verpflichten zu müssen), in einer Welt, die insgesamt wenig Kontrolle zulässt.

Und noch etwas ist an diesem Streben nach Sicherheit neu: Es geht weniger darum ein Umfeld zu finden, welches beständig ist; es geht nicht darum, immerwährende Konstanten zu errichten. Es handelt sich um eine dynamische Sicherheit, die auf die jeweiligen Bedürfnisse des Selbst reagiert. Wie ein Bleistift, der aufrecht stehend auf der eigenen Handfläche balanciert wird, entsteht diese Stabilität nicht durch Festigkeit, sondern durch Beweglichkeit. In diesem Streben nach Sicherheit verlässt man sich nicht mehr auf andere, sondern nur noch auf sich selbst.

 

 

 

[1] Männer sind in diesem Artikel immer mitgemeint

 

Mehr zu Situationships unter: https://www.bbc.com/worklife/article/20220831-situationships-why-gen-z-are-embracing-the-grey-area?ocid=global_worklife_rss