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Wenn Peter Sloterdijk davon spricht, dass uns unsere Gesellschaft ins Gesicht schreit „du musst dein Leben ändern“, so trifft er damit einen wahren Kern. Er lässt seine Argumentation auf einem Rilke-Gedicht basieren, welches folgendermaßen lautet:

„Archaïscher Torso Apollos: Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt darin die Augenäpfel reiften. Aber sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber, in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt, sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug der Brust dich blenden, und im leisen Drehen der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen zu jener Mitte, die die Zeugung trug. Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz unter der Schultern durchsichtigem Sturz und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle; und bräche nicht aus allen seinen Rändern aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.” Rainer Maria Rilke: Archaïscher Torso Apollos, aus dem Zyklus Der Neuen Gedichte Anderer Teil, 1908“

Was er damit meint ist wohl zu bezeichnen als das Diktat, das ein Blick auf einen Auschnitt der Vollkommenheit uns aufzwingt. Wenn wir etwas wahrnehmen, was unserer Vorstellung von Perfektion unendlich nahe kommt, so löst dies – nach Sloterdiijk – eine Spannung in uns aus; eine Spannung, die dazu führt, dass wir uns in Richtung dieser Perfektion strecken, das beste mögliche Selbst zu werden, indem wir unser Leben ändern. Er spricht gar von einem „metatonischen Imperativ“ (metatonisch ist dabei etwa mit „das Denken übersteigend“ zu übersetzen), was so gedeutet werden kann, dass unsere Ziele, unser Streben nach Perfektion außerhalb dieser Welt liegen und damit unerreichbar bleiben.

Ich denke, dass Peter Sloterdijk hiermit eine präzise deskriptive Aufnahme unserer Gesellschaft getroffen hat, die es sich für jedes Individuum zur Aufgabe gemacht hat, sich zu optimieren, zu verändern, um einem gewissen Ideal zu entsprechen. Die Frage, die sich allerdings sehr wohl dabei stellt ist, ob dies eine normativ wünschenswerte Gesellschaft darstellt.

„[…] Denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.“ Dies ist letztlich nicht nur eine Formulierung, die von Überlegenheit spricht, sondern auch von einer gewissen Aggression. Rilke spricht nicht etwa von einem Blick, der einem begegnet, sondern „von Stellen, die dich sehen“. Wir sprechen also von keiner Würdigung durch einen Blick, niemand, der dich herausfordernd anblickt (. Sondern von einem Sein, dass sich seiner selbst vollends bewusst ist und auch weiß, dass sämtliche Blicke auf ihm selbst ruhen. Es weiß, dass seine pure Existenz bereits ausreicht um zu sagen „Was du siehst ist Perfektion“. Einen Blick auf jemanden zu richten würde dabei bereits mit der Wahrnehmung eines Beobachters einhergehen. Stattdessen ist sich die Skulptur seiner Bewunderer einfach nur gewiss und zeigt sich in all seiner Pracht. Es ist dabei auch gleichgültig ob die Skulptur, dieser Gott der Perfektion, überhaupt Augen besitzt (wie es ein Torso freilich nicht tut). Denn diese werden nicht benötigt.

Ohne also wahrgenommen zu werden als Individuum, ohne also überhaupt zu versuchen zu verstehen, welches Individuum diesem Gott der Perfektion gegenübersteht, wird pauschal geurteilt: „Du musst dein Leben ändern.“ Ein unaufgeregter Satz, der beinahe selbstverständlich klingt, aber gleichzeitig endgültig und befehlend. Also gehorchen wir diesem Gott der Perfektion, wir gehorchen seinem Befehl und bemühen uns um seine Ausführung.

Wie gesagt mag dies eine durchaus treffende Beschreibung unserer Gegenwartsgesellschaft sein; es ist aber kein Zustand den man wollen kann. Dieser Aufruf zur Veränderung ist aggressiv, er kommt von außen und ignoriert uns dabei als Individuum. Es ist der Befehl eines Feldherren, der seine Armee in die Schlacht schickt, um seine eigenen Ziele zu verfolgen. Sei es nun der Gott der Schönheit, des Ruhmes, des Wissens oder der Athletik. Sie alle handeln gleich in dieser Hinsicht.

Diesem aggressivem „Verändere dich!“ steht Aspekt der Verwandlung gegenüber. Die Verwandlung nämlich ist das, was unserem Potential entspricht. Dem was wir, ganz aus uns heraus, sein könnten – und nicht, was uns von außen aufgetragen wird. Die Verwandlung ist dabei ebenso wie die Veränderung kein Ausdruck von Faulheit; es ist nichts, dass ohne jedes Bemühen oder ohne jede Anstrengung passieren kann. Aber die Verwandlung basiert vielmehr auf einem individuellen Potential.

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Die Verwandlung verändert nicht das Individuum. Die Verwandlung ist einfach das, was stattfindet, wenn das Individuum die richtigen Umstände vorfindet, um sich zu entfalten. Das bedeutet wiederum nicht, dass sich das Individuum aus der Verantwortung stehlen kann; die richtigen Umstände vorzufinden erfordert zunächst die Suche nach diesen Umständen. Eine Suche die manchmal einen weiteren Weg benötigt, manchmal bereits nach den ersten Schritten erfolgreich sein kann.

In jedem Fall muss die Suche aber zunächst bei uns selbst beginnen. (Psychotherapie, etc.)